Martin Luther Das Augustinerkloster als Quelle der Reformation

15 Jun Martin Luther Das Augustinerkloster als Quelle der Reformation

Es ist der 11.06.2018. Wir stehen an der Lutherpforte, hier soll Martin Luther am 15. Juli 1506 in das Kloster der Augustiner-Eremiten eingetreten sein. Vier oder fünf seiner Studentenfreunde haben ihn hierher begleitet in dem Glauben, dass er ja gar nicht im Kloster bleiben wird. Man hat ihm nicht zugetraut, dass er hier drinnen bleiben wird, aber er sagte beim Eintritt in das Kloster: „So wie ihr mich hier stehen seht, werdet ihr mich nie wieder sehen.“ Er ist in das Kloster eingetreten und kam auch nicht wieder heraus.

Die Freiheit eines Christenmenschen hätte für den angehenden Juristen, der auch die artistische Fakultät durchlaufen hatte, durchaus anders aussehen können. Ein weltliches Leben in Erfurt, wo er viele Freunde besaß oder im Dienst des Grafen von Mansfeld und die spätere Übernahme des elterlichen Bergbauunternehmens, wie vom Vater erwartet.

Eine der vielen Legenden berichtet von einem Blitz, der das Leben des Studiosus grundlegend verändert habe. Als er auf der Rückreise von seinem Elternhaus wieder zu seinen Studentenfreunden reiste, kam er kurz vor Erfurt nach Stotternheim, hier steht heute der große Lutherstein. Dort brach angeblich das Gewitter über ihn hinein und er schrie: „‚Oh, heilige Anna hilf. Ich will ein Mönch werden.“ Zwei Wochen stand er dann vor der Tür des evangelischen Augustinerklosters Erfurt.

Warum beschäftigt sich eine Erfurter Selbsthilfegruppe erst ein Jahr nach dem historischen „Lutherjahr“ mit dem großen Reformator? Im Lutherjahr gab es einfach zu viel Trubel um den mitunter sehr deftigen Christen. Im 500. Jahr des Thesenanschlages zu Wittenberg konnte man vom Radiergummi über den Kalender bis hin zum Lutherbrot fast alles kaufen. Luther und die Reformation wurden zum Kassenschlager. Sie waren aber auch ein Magnet für zahlreiche Touristen, die hier nach Erfurt strömten und die Wurzeln der Reformation suchten. Wir warteten bis die Zeit wieder ruhiger wurde, sich der Kommerz gelegt hat und Ruhe in das Augustinerkloster eingekehrt ist. Wir wurden mit einer sehr informativen und interessanten Führung entschädigt – ein Jahr warten hat sich gelohnt. Wir erfuhren Neues und fanden Bekanntes bestätigt. Was würde Luther heute sagen, wenn er den Hass und die Gewalt der Menschen untereinander sehen würde? Luther war ein sehr gläubiger Christ, der die Nächstenliebe lebte und Achtung vor jedem Mensch hatte – gleich welcher Art er abstammte!

Warum hatte Martin Luther, der damals noch Luder hieß, sich ausgerechnet für die sehr strengen Augustiner entschieden? Er hätte Franziskaner oder Dominikaner werden können. Diese Orden waren ebenfalls in Erfurt zu finden. Die Wahrscheinlichkeit liegt sehr nahe, dass Martin Luther das Augustiner-Kloster als Orden der Wissenschaft und des Lehrens erwählte. Er war ein sehr gebildeter Mensch und wusste, dass man sich hier dem Studieren widmen konnte. Außerdem stand das Kloster dem Kreis der Humanisten sehr nahe. Zeuge davon ist die 1646 gegründete Luther-Bibliothek des Erfurter Augustinerklosters. Sie ist eine der ältesten Bibliotheken der Evangelischen Kirche in Deutschland. Sie ist seit Zerstörung des historischen Bibliotheksgebäudes am Ende des 2. Weltkrieges im ehemaligen Schlafsaal der Mönche untergebracht.

„Was Martin Luther umtrieb, war die Frage nach Gott, die die tiefe Leidenschaft und Triebfeder seines Lebens und seines ganzen Weges gewesen ist“, erklärte der Papst bei dem Treffen mit protestantischen Spitzenvertretern. Und er setzte hinzu: „Theologie war für Luther keine akademische Angelegenheit, sondern das Ringen um sich selbst, und dies wiederum war ein Ringen um Gott und mit Gott.

Historische Bibliothek des Augustinerklosters Erfurt

Das Augustinerkloster in Erfurt ist ein ab 1277 erbautes, ehemaliges Kloster der Augustiner-Eremiten. Martin Luther lebte hier zwischen 1505 und 1511 als Mönch. Im Löwen- und Papageien-Fenster der Chorfenster der Augustinerkirche des Klosters befindet sich (so wird vermutet) das Vorbild der Lutherrose. Nach der Reformation ging das Kloster 1525 in den Besitz der Evangelischen Kirche über; 1559 wurde es von der Stadt Erfurt säkularisiert. 1945 wurden große Teile des Klosters bei einem Luftangriff zerstört. Seit 1994 ist das Augustinerkloster Dienstsitz der Propstei Erfurt-Nordhausen. Das Gebäude wird vor allem als Tagungs- und Begegnungszentrum genutzt. Das Kloster ist anerkanntes Kulturdenkmal nach dem Denkmalschutzgesetz des Landes Thüringen.

Eine Niederlassung der Augustiner-Eremiten wird seit 1266 in Erfurt erwähnt. Diese wurden ab 1273, nach Streitigkeiten mit der Stadt, vertrieben. Sie kehrten jedoch 1276 endgültig zurück. Ihr Sitz wurde die um 1131 errichtete Kirche „St. Philippi und Jacobi“ an der Comthurgasse. 1277 begann der Aufbau des Klosters. Die Mittel für die umfangreichen Bauarbeiten wurden in den folgenden Jahrhunderten durch Almosen und den Verkauf von Ablässen aufgebracht. Bis 1518 wurde so der Bau der Bibliothek, der Katharinenkapelle, des Kapitelsaals, des Kirchturms, eines Kreuzgangs, des Langhauses, der Waidhäuser und des Neuen Priorats zwischen Bibliothek und Waidhäusern finanziert. Bedeutend war die Schule des Klosters. Ab Anfang des 14. Jahrhunderts folgte dazu auch der Aufbau der Klosterbibliothek. 1516 wurde das Bibliotheksgebäude fertiggestellt. Zwischen 1505 und 1511 gehörte Martin Luther dem Kloster an. 1507 wurde er zum Priester geweiht und las hier am 2. Mai 1507 seine erste Messe. In der Augustinerkirche sind Teile des Altars erhalten, an dem Luther seine erste Messe las.

Bis heute hat sich das Kloster sein mittelalterliches Erscheinungsbild weitgehend bewahrt. Das Areal ist zum Teil von der alten Klostermauer umschlossen. Es gibt den Kreuzgang, den Klostergarten, die ehemalige Klausur – vieles weist noch auf die Welt der Vorreformation hin.

Ein „Raum der Stille“ im Keller des Neubaus erinnert an die 267 Opfer der britischen Luftmine im Februar 1945. Deren Namenstafeln stehen vor dem verschütteten Notausgang des ehemaligen Luftschutzkellers. In dem Gedenkraum wurde auch das 2008 dem Augustinerkloster überreichte Kreuz der Internationalen Nagelkreuzgemeinschaft aufgestellt.

Bereits im September 2008 wurden die „Waidhäuser“ wiedereröffnet. Es handelt sich um einen modernen Bau auf teilweise neu errichteten Fundamenten, der nur in der Kubatur an einen Erfurter Waidspeicher erinnert. Er enthält 17 Gästezimmer und im Keller einen Andachtsraum.

Am 23. September 2011 besuchte Papst Benedikt XVI. im Rahmen seines Deutschlandbesuches das ehemalige Augustinerkloster.
Heute ist das Erfurter Augustinerkloster ein evangelisches Tagungs- und Begegnungszentrum von überregionalem Rang.

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Eine Anmerkung in eigener (sprachlicher) Sache:

Helmut Kohl in seinen besten Zeiten und der große böse Wolf in den alten Micky-Maus-Comics, beide nehmen Anleihen bei Martin Luther: Die gravitätische Floskel „in diesem unserem Lande“ verwendete der Reformator genauso gern wie der Altkanzler. Und wenn der große Wolf wieder mal erfolglos Schweinchen gejagt hat, erntete er von seinen Gangsterfreunden im „Böse-Buben-Club“ Hohn und Spott – und weiß nicht, dass schon Martin Luther aufständischen Bauern, unverbesserlichen Romgläubigen und anderen „bösen Buben“ die „Pestilentz“ an den Hals gewünscht hat.

Der genialste Sprachschöpfer aller Zeiten liebte solche klangvollen Alliterationen wie „Schmach und Schande“, „Leib und Leben“, „fressendes Feuer“. Nächstenliebe, Herzenslust, Ebenbild, Morgenland, Feuertaufe, Judaslohn, Bluthund, Machtwort, Schandfleck, Lückenbüßer, Lockvogel, Lästermaul, Gewissensbisse – das sind tausend Sprachbilder, die Luther erfand und unsterblich machte.

Luther gab dem Volksmund den richtigen Schliff.

Wetterwendisch, kleingläubig, friedfertig, lichterloh. Auf eigene Faust, für immer und ewig, sein Licht nicht unter den Scheffel stellen – immer wieder die zündenden Metaphern und die absolut treffsicheren Spots, die sofort ins Ohr gehen: „Ein Herz und eine Seele“, „der große Unbekannte“, „ein Buch mit sieben Siegeln“, „die Zähne zusammenbeißen“, „im Dunkeln tappen“, „auf Sand bauen“. Sprichwörter, die Luther dem Volksmund entnahm, gab er oft genug erst den richtigen Schliff: „Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein.“ – „Hochmut kommt vor dem Fall.“ – „Recht muss Recht bleiben.“ – „Den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf.“

Luther war ein Glücksfall für die deutsche Sprache. Dieser altmodische Reformator, fromme Rebell und aufmüpfige Gläubige, der sich selbst abwechselnd als „Doktor über alle Doktoren“ und als „armen stinkenden Madensack“ bezeichnete. Eine Denkmaschine, die mit grimmiger Lust Debatten führte, predigte und schrieb. Luther produzierte unentwegt Texte: Vorlesungsmanuskripte, Bibelauslegungen, Disputationsthesen, beißende Polemiken, ironische Statements, Tischreden, Trostbriefe, Katechismen, theologische Traktate. Er hinterließ ein gigantisches Schriftengebirge, das die Sprache hierzulande prägte und auf Dauer veränderte.

Luther ist nicht der alleinige Schöpfer der neuhochdeutschen Schrift- und Nationalsprache. Solche Entwicklungen gehen niemals auf einen einzelnen Pionier zurück. Aber unter denen, die das Chaos der zahllosen Mundarten allmählich durch eine überregionale, allgemein verständliche Sprache ersetzt haben, ist er zweifellos der einflussreichste und wirkungsvollste, der talentierteste und originellste. In anderen Ländern bildete sich eine einheitliche Sprache in den Metropolen und an den Fürstenhöfen, oder sie wurde von der politischen Macht verordnet. In Deutschland bahnte sie sich mit einem literarischen Text den Weg, den alle kannten und viele liebten: mit der nationalen Aneignung der Bibel in der Übersetzung Martin Luthers.

In seinem berühmten Sendbrief 1530 hat Martin Luther die Prinzipien seiner Bibelübersetzung eindrucksvoll dargelegt und verteidigt. Er schrieb hier:

»man mus nicht die buchstaben inn der lateinischen sprachen fragen, wie man sol Deutsch reden, wie diese esel thun, sondern, man mus die mutter jhm hause, die kinder auff der gassen, den gemeinen man auff dem marckt drumb fragen, und den selbigen auff das maul sehen, wie sie reden, und darnach dolmetzschen, so verstehen sie es den und mercken, das man Deutsch mit jn redet.«

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Wir werden im Juli mit dem Besuch der Stadt Eisenach eine weitere Station in Luthers Leben besuchen. „Der Wein ist stark, der König ist stärker, die Weiber noch stärker, die Wahrheit am allerstärksten“ Martin Luther. Wir sind gespannt – auf das was uns erwartet.